"Angst essen Seele auf"

  • "Angst essen Seele auf", Dr. Katz hat es wieder geschrieben...und wieder hat es mich tief berührt.


    Wenn ich darf, möchte ich mal gerne über meine Oma schreiben. Eine lebenslustige, lebensgejahende, positive Frau.
    Dann, sie war so um die 50, Thrombose, Lungenembolie, Peng. Ich weiß nicht wie "groß" die Lungenembolie war, war damals noch ein Kind.
    Von dem Moment an war Oma anders...ein ganz anderer Mensch. Sie ging kaum mehr aus, saß hinter Decken auf dem Balkon, damit keine Sonne auf die bestrumpften Beine kam, lachte kaum mehr, es war, wie soll ich sagen "als wäre das Leben aus ihr verschwunden". Selbst wir Kinder litten mit ihr "diese blöden Strümpfe"...


    Krampfadern liegen bei uns in der Familie...mein Onkel trägt seine Strümpfe seltenst...wegen der Oma...mein Tante hat ein offenes Bein, aber sie trägt keine Strümpfe...wegen der Oma...meine Mutter hat blaue Füsse, aber Strümpfe, nein...wegen der Oma. Meine Cousine hatte auch eine Thrombose und Lungenembolie, sie trägt ihre Strümpfe, aber sie sagt...meine Güte, ich bin wie die Oma, und immer schwarze Strümpfe, schwarze geschlossene Schuhe und sie fühlt sich einem Teil ihres Lebens beraubt dabei. Ich hatte diese Woche Doppler Untersuchung und war schon Wochen vorher mit den Nerven unten...hoffentlich haben die tiefen Venen nichts, Strümpfe... Oma.
    Und weil es mich wirklich schwer belastet hat, sprach ich mit meinem Therapeuten drüber...und er meinte "die arme Frau, damals gab es noch nicht die Möglichkeiten wie heute, psychologische/therapeutische Hilfe zu bekommen". Klar, manchmal "sieht man den Wald vor lauter Bäumen" nicht...es waren nicht die Strümpfe, die sie so verändert hatten, es war die Angst, die Todesangst und ihre Strümpfe waren die tägliche Erinnerung daran.
    Will sagen, ihre Angst auf die Strümpfe projiziert, hält sich nun in der dritten Generation unserer Familie.
    Da ich das nun verstanden habe, kann ich daran arbeiten und werde vielleicht auch noch zur überzeugten Strumpfträgerin.


    Mancher "steckt" es einfach weg, wenn ihm so etwas passiert, ein anderer nicht. Jeder zieht für sich den Schluss, wie er damit umgeht. Aber heute haben wir die Möglichkeit, uns auch in dieser Beziehung helfen zu lassen. Als ich Nierenkrebs hatte, habe ich zuerst auch psychologische Hilfe abgelehnt, brauchte ich nicht, fühlte mich stark, ich hatte gewonnen...naja, 6 Monate später, mein Urologe sagte damals, wäre ich 4 Wochen später gekommen, hätte ich vielleicht noch 6 Monate gehabt mit Glück auch 7...da bin ich dann zusammen gekracht, aus einem völlig nichtigen Grund...


    Und ich glaube aus eigener Erfahrung auch nicht, dass es Sinn macht "seine Angst zu bekämpfen", denn das gibt ihr unnötig Raum. Angst ist ja primär etwas Gutes, denn sie schützt uns auch. Aber wenn wir sie verstehen, können wir gegensteuern...
    Ich konnte ein paar Jahre das Haus nicht mehr alleine verlassen, kein Auto mehr fahren, nicht mehr mit mehreren Menschen in einem Raum sein usw. Heute führe ich wieder ein freies, selbstbestimmtes Leben in dem die Angst zwar auch manchmal "anklopft"...aber nun kenne ich sie und kann ihr ihren Platz zuweisen. Und wenn ich es alleine nicht schaffe, rede ich mit meinem Therapeuten drüber.


    Entschuldigung, aber das brannte mir jetzt auf der Seele.

  • Auch mich berühren die Schicksale , die Sie in Ihrer Familie haben sehr. Aber eine Conclusion kann man ( leider) feststellen : zu wenig aufgeklärt, zu wenig Betreuung- Alles was Sie schildern , kenne ich ja nun alltäglich.
    Und genau in Ihre Richtung geht auch der Report der Barmer GEK : 60% " Behandlungsfehlerhaft..." .es muss sich unbedingt was tun , in der Versorgung, Betreuung Venenkranker,Der berühmte Prof.Klüken hat mir vor 23 Jahren(!!!) schon bestätigt: Die Venenerkrankungen sind die Häufigste Krankheit überhaupt.
    Und wenn wir über 20 Jahre Patienten mit PTS betreuen, und erleben, wie " normal" die Patienten nach Thrombose leben können , lohnt es sich,hier weiter zu beraten.Aber in einer Kassenpraxis geht das nur sehr unzureichend , wegen fehlender Zeit und beleidigender Honorare.2h brauchen wir immer, da die Patienten viele Fragen haben.Und wenn man Ihre " Geschichte" liest, verstehe ich das auch.
    Und Sie müssen ja weiter leben, verlieren unglaublich viel Energie in Ihre Angst.Und man kann! LG

  • Der Mangel an Beratung, - denke ich - verursacht einen großen volkswirtschaftlichen Schaden. Die Patienten suchen verzweifelt nach Antworten und können die Informationen (Netz) nicht ausreichend zuordnen. Die daraus resultierenden Auswirkungen kosten wesentlich mehr Geld, als eine korrekt honorierte Beratung gekostet hätte - mit der es allen Beteiligten besser ginge.

  • ich bin sehr angenehm überrascht , über all unsere Mitwirkenden hier-sehr weise! LG
    aber es bewegt sich einiges...hoffentlich. Habe jetzt eine Kette von Gesprächen mit CEO's von Krankenkassen-es geht besonders um Wundversorgung.

  • Manchmal scheinen an" entscheidenden Stellen" sogar die Grundrechenarten bei Dauer von Wundtherpien , Wunddressings... in Vergessenheit geraten zu sein. Ich hoffe mit Ihnen Herr Kollege Katz auf "neue Einsichten"

  • Lieber Kol.Martin , Sie müssen den Barmer GEK-Report unbedingt lesen , denn er stellt schlimmere Wahrheiten fest, als ich in meinen kühnsten Träumen nicht geglaubt habe: Seite 86:
    -" Die mittlere Ulcusdauer nach Vorstellung ...beträgt über 2 Jahre!"
    also 2 Jahre müssen die Betroffenen unnötig leiden! Grausam. Wo doch die Therapie so banal wäre.
    "" die durchschnittliche Abheilungszeit bei einem Ulcus cruris venosum nach Beginn einer q u a l i z i e r t e n Behandlung dauert 5,9 Monate. Unglaublich , das könnte man in der Hälfte der Zeit schaffen, wenn die Patienten eher kommen dürften.
    -" bei 33-66% aller Patienten mit einem venösen Ulcus beträgt die Abheilungszeit mindestens 1 Jahr"
    -" 20% ...über 2 Jahre" Die längste Zeit war bei uns 11 Monate , Pyoderma gangraenosum , was aber schon 7 Jahre bestand.
    -" 8% über 5 Jahre"
    Geht es eigentlich noch schlimmer??? Nein!
    Ich koche...aber ich kämpfe !


    Alles Gute und liebe Grüsse
    Ihr
    Ullrich Katz

  • Aber strafbar verantwortlich ist die KV, denn deren Aufgabe ist es , die Versorgung der Bevölkerung qualifiziert sicher zu stellen.Das nennt man nämlich " Sicherstellungsauftrag " !Den haben die ja!


    Mein Gott , wie haben die mich durch vollkommene Unfähigkeit gequält. Manch schwache Gestalt hätte Selbstmord gemacht.
    Aber Aufstehen ist die Königsdisziplin nach dem Hinfallen-und nicht Liegenbleiben...

  • Hallo zusammen,
    ich habe es schon früher einmal geschrieben... jeder Mensch ist anders...
    Und ich gehöre -leider- zu den Grüblern.
    Wenn ich allerdings kompetente Hilfe bekomme und sich jemand doch mal fachlich und auch sehr direkt mit mir auseinandersetzt legt sich die Angst. Wenn ich ernst genommen werde. Lächelnde und grinsende Gegenüber brauche ich nicht.Oder Ärzte die mich fragen was ich denn will. Das schürt meine Ängste. Bin dann ganz auf mich gestellt und hinterfrage mich.
    Dann doch lieber klare Worte . So wie von meinem Phlebologen. Das Grübeln muss aufhören, Vertrauen mus da sein sonst wird man doch irgendwann verrückt. Hat mich schwer beeindruckt diese Ehrlichkeit, er konnte mich sowas von gut einschätzen,ich habe lange darüber nachgedacht.Und auch Tränen vergossen.
    Aber jetzt, mit meiner anderen Krankengeschichte, hab ich die Befürchtung, es geht schon wieder los...
    Musste mal raus-sorry
    Gruß silberling