Verzweiflung

  • Hallo,
    ich bin so verzweifelt. Ich habe ein Lipödem und es gibt so viele Meinungen über die Behandlung, daß mich das bald ganz verrückt macht. Die einen sagen, eine Liposuktion würde helfen, andere wieder warnen davor. Die einen meinen, man solle Kompressionsstrümpfe tragen, die anderen meinen, das bringt nichts beim Lipödem. Ich weiß nicht mehr was richtig ist. Ich brauche dringend Rat.
    Vielen Dank.

  • Hallo Caroline,
    da stehst Du ganz sicher nicht alleine da. Auch mir schwirren die ganzen Artikel für und wider Behandlungsmethoden und -möglichkeiten der letzten 12 Monate im Kopf herum und ich weiß im Moment auch nicht, was richtig und was falsch ist. Ich habe den Eindruck, auch die Ärzte sind noch am Rätseln - wollen aber helfen und können eben nur Möglichkeiten nennen, die evtl. eine Hilfe darstellen. Dabei lehnen sie sich an die Erkenntnisse in der Lymphforschung und -behandlung an. Wirklich fundierte langzeitige Erfahrungen beim Lipödem gibt es ja nicht oder noch nicht wirklich lange. In der letzten Zeit tendiere ich immer mehr dazu, die Maßnahmen anzunehmen, die MIR wirklich gut tun. Ein bisschen in Dich hineinhorchen und bloß ja nicht eine zu schnelle Entscheidung treffen, die sich im Nachhinein als Fehlentscheidung herausstellen könnte. Ich muss meine gesammelten Erkenntnisse des vergangenen Jahres erst einmal setzen lassen - für mich Klarheit schaffen. Immerhin geht es um meinen Körper. Und ich habe Angst, in eine Spirale zu kommen, die mich letztendlich kranker macht als ich es vor dieser Diagnose war. Lass den Kopf nicht hängen. Es gibt sicher noch mehr Frauen hier mit diesem Wirrwarr im Kopf.

  • Beantworten Sie bitte unseren Fragebogen, denn damit wollen wir allen-wenn möglich-helfen.

  • Hallo Caroline,

    jeder der eine chronische Erkrankung hat, ist zunächst einmal verzweifelt. Das ist gut zu verstehen. Glücklicherweise haben Sie aber eine Erkrankung, die heute sehr gut zu behandeln ist - hundert mal besser als früher! Erstens ist es - Gott sei Dank - keine bösartige Erkrankung. Zweitens kann man die Ödeme und die Schmerzen gut in den Griff kriegen durch Maßnahmen, die meist in Wohnortnähe möglich sind. Man sollte sich informieren, wo eine gute manuelle Lymphdrainage gemacht wird. Mit den Strümpfen muß man erfahrungsgemäß manchmal etwas probieren, bis das (Strumpf-)Optimum gefunden ist.

    Und drittens gibt es heute die operative Behandlung, die ihnen wieder ein fast normales Leben ermöglicht. Es zwar richtig, daß viele Meinungen zur Liposuktion existieren, aber das liegt nicht an der Sache selbst, sondern nur am Kenntnisstand der Gefragten. In den Leitlinien zum Lipödem, die eigentlich verbindlich für die einzusetzende Therapie sein sollen, ist das Vorgehen ganz klar geregelt. Die Liposuktion ist heute - durchgeführt in spezialisierten Zentren - eine Standardbehandlung. Fast alle Lymphologen - mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen (einige wollen es anscheinend nicht begreifen!) - unterstützen heutzutage dieses operative Verfahren aufgrund der ausgezeichneten Ergebnisse.

    Richtig: vor ca. 10 Jahren waren die Ergebnisse noch nicht so gut, da damals die Opperations- und Narkose-Techniken noch nicht so weit entwickelt waren. Viele ältere Lymphologen kennen daher nur die damals schlecht(er)en Ergebnisse und warnen deswegen immer noch vor dem Eingriff. Dies ist aber heute wie gesagt völlig anders. Auf der letzten Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie in Lübeck 2006 z.B. wurde speziell diese Problematik über 2 Tage diskutiert und ALLE Beteiligten waren sich einig, daß nur in Komination von Lymphdrainage mit Fettabsaugung beim Lipödem die hervorragenden Ergebnisse zu erzielen sind. Die Betroffenen haben danach wieder "normale" Beine und benötigen wesentlich weniger Lymphdrainage und oft eine geringere Kompression.
    Lassen Sie sich also von den Fachleuten beraten und nicht von Vorurteilen leiten. Es gibt inzwischen eine große Zahl von wissenschaftlichen Publikationen auf deutsch und auf englisch, auch im Deutschen Ärzteblatt, das JEDER Arzt in der BRD erhält, ebenso in Lymphologischen Zeitschriften und Zeitschriften für Physiotherapeuten, wo die sehr guten Ergebnisse der Liposuktion ausführlich belegt sind. Wir haben in Lübeck inzwischen fast 100 Patientinnen operiert und noch NIE hat eine diesen Schritt bereut - im Gegenteil. Die Dankesbekundungen die wir bekommen sind so, daß oft von einem "neuen Lebensgefühl" nach dem Eingriff gesprochen wird und das wir durch die Absaugung und die neue Körperform das "Leben wieder lebenswert" gemacht haben.

    Also bitte, kein Grund zur Verzweiflung! Zum Tragen von Kompressionsstrümpfen habe ich vor einigen Tagen übrigens auch noch einen Kommentar ins Lymphforum gestellt.

    Somit: Sie können etwas tun, packen Sie´s also ptimistisch an. Jammern bringt niemanden weiter und Rat können Sie jederzeit erhalten.

    Herzliche Grüße

    Prof. Dr. W. Schmeller

  • Hallo Prof. Dr. Schmeller,
    natürlich kann man zum Verzweifeln kommen, wenn man alles unternimmt und immer wieder nur Niederlagen hinnehmen muss. Nach einem Antrag einer Lipo an die KK muss man sich lt. sozialmed. Gutachten anhören:
    Die dicken Beine resultieren aus der bestehenden Adipositas. Eine Lipo wird nur in der plastischen Chirurgie eingesetzt, um überschüssige Fettablagerungen zu bekämpfen. Eine Lipo kommt nur in Betracht, wenn es sich um ein Frühstadium handelt, bei fortgeschrittenem Befund (Spätstadium) besteht die Gefahr einer
    Liposklerose (was immer das auch heißen mag).
    Liposuktionen dienen nicht zur Abnahme und sind nicht durch den Bundesausschuss befürwortet und nicht in den Leistungskatalog der KK aufgenommen.
    Eine Lipo birgt viel Risiken.....während und nach der OP.

    Schlusssatz:
    andere Behandlungsmöglichkeiten
    Antrag abgelehnt.

  • Die Verzweiflung der Betroffenen nach vielen frustranen Unternehmungen zum Erhalt einer Liposuktion kann ich sehr, sehr gut nachvollziehen. Das Schlimme ist, daß die Medizin heutzutage nicht mehr von Ärzten bestimmt wird, sondern von Kaufleuten der Krankenkassen. Leider sind deren "Fachleute", der MDK, angehalten, im Sinne der Kassen zu entscheiden. Bei einer sehr, sehr, sehr großen Zahl von Begutachtungen mußte ich immer wieder erleben, daß die logischen Argumente der Fachärzte und Kenner des Krankheitsbildes vom MDK völlig umgedreht wurden und die inhaltlichen Aussagen ins Gegenteil verkehrt wurden. Einerseits sind die Ärzte prinzipiell von den Kassen gehalten, sich an die Leitlinien, die von den kompetentesten Spezialisten und Wissenschaftlern in mühsamer Kleinarbeit und langen Diskussionen erstellt werden, zu halten - andererseits werden aber - wenn es den Kassen nicht in den Kram passt, diese Leitlinien einfach völlig ignoriert. Die aufgeführten "Gründe" dazu sind teilweise mehr als hahnebüchen.

    Natürlich können "dicke Beine aus einer Adipositas resultieren", aber diese machen eben keine Lipödem-typischen Beschwerden, d.h. sie weisen kein Ödem auf. Das ist doch eine ganz einfache Unterscheidung. Die adipös bedingten Beine können auch nach Diäten und Sport schmaler werden, die Lipödem-Beine aber nicht. Ist das so schwer zu begreifen?

    "Eine Liposuktion wird nur in der Plastischen Chirurgie eingesetzt" - warum sind dann die meisten und wichtigsten Bücher über Liposuktion von Dermatologen geschrieben worden - national und international?

    Ein "Liposuktion kann in frühen Stadien eingesetzt" werden - richtig, das ist am sinnvollsten, aber sie kann natürlich auch in späten Stadien eingesetzt werden, warum denn nicht? Oder kann man eine Blinddarmentzündung nur im Frühstadium operativ behandeln und im Spätstadium nicht mehr!

    Die Gefahr einer "Liposklerose" ist nicht abhängig von der Liposuktion und eine Liposuktion sollte möglichst durchgeführt werden, wenn noch keine Sklerose eingesetzt hat, das ist richtig. Aber eine Liposklerose bei Lipödem, die eine Liposuktion ver- oder behindert, ist EXTREM selten. Ich habe noch nie eine Liposuktion aus diesem Grunde abgelehnt.

    "Liposuktionen dienen nicht zur Gewichtsabnahme", das ist richtig. Aber wir führen beim Lipödem die Absaugung nicht zur Gewichtsabnahme durch - wer erzählt einen derartigen Unsinn? Wir führen die Liposuktion bei Normalgewichtigen und bei Übergewichtigen durch, aber nur um das Lipödem zu bessern, nicht das evtl zusätzlich vorhandene Übergewicht. Dazu sind andere Methoden sinnvoll, das weiß doch jeder. Aber soll deswegen nur noch den Normalgewichtigen geholfen und den übergewichtigen Lipödempatientinnen nicht mehr geholfen werden?

    Man kann wirklich über diese ganze unsinnige Argumentation verzweifeln!

    Natürlich ist die "Liposuktion nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen" aufgenommen. Das wissen wir und so ist es auch mit vielen anderen neuen Therapieverfahren. Aber was sollen denn die Betroffenen machen, wenn trotz der gesetzlich genehmigten Therapie - bei regelmäßiger und fachkundiger Behandlung - der Befund trotzdem kontinuierlich schlimmer wird. Soll man diesen armen Leuten dann die einzig wirksame Therapie verweigern?

    Die "Risiken der Liposuktion" sind heutzutage - bei richtiger Anwendung - EXTREM niedrig. Es gibt genügend Literatur - auch von unserer Klinik - warum Fehler und teilweise tödliche Komplikationen eingetreten sind. Wenn man sich nicht an die national und international etablierten Richtlinien hält, kommt es halt zu Komplikationen. Jedes Jahr sterben in Deutschland über 4000 Menschen im Straßenverkehr. Sollen wir deswegen das Autofahren aufgeben? Nein, denn: Autofahren ist sehr risikoarm - aber natürlich nicht, wenn man mit Alkohol am Steuer und überhöhter Geschwindigkeit fährt. So ist es auch beim Operieren.

    Also: alle diese sogenannten "Argumente" der Kassen können Sie in der Pfeife rauchen. Ich ärgere mich seit über 6 Jahren über diese "Begründungen" von "Fachleuten" aus dem medizinischen Dienst und habe immer noch nicht gelernt, das entspannt zu sehen. Warum in ich so wütend: Weil man hier nämlich ein Verhinderung einer wirksamen Therapie betreibt - Juristen würden das wahrscheinlich als "unterlassene Hilfeleistung" oder als "Körperverletzung" bezeichnen.

    Und leider kann offensichtlich keiner in Deutschland derzeit dieses System ändern. Wenn Vernunft und Logik nicht zählen, hat man absolut keine Chance!

    Wie gesagt, dieser Sachverhalt ist in der Tat zum Verzweifeln. Aber: Es gibt die Therapie und viele Betroffene sind bereit, dafür finanzielle Opfer zu bringen. Ca. 1/3 der entstandenen Kosten erhält man am Jahresende über den Steuerausgleich wieder zurück.

    Also - hoffen Sie nicht auf andere, ergreifen Sie selbst die Inititative und geben sie nicht auf - NIE! Wir Ärzte an der Basis versuchen, so gut wie möglich zu helfen, das ist unser Beruf. Leider ist uns dieser Beruf sehr schwer gemacht worden.

    Prof. Dr. W. Schmeller

  • Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schmeller,

    danke für Ihre Ausführungen.
    Bitte beantworten Sie mir meine Frage:
    Habe ich eine Chance Widerspruch bei der Kasse einzulegen,
    wenn ich sachlich argumentiere?

  • Die Frage, ob man eine Chance bei der Kasse hat, kann niemand vorher beantworten.
    Die Sachlichkeit der Argumentation sollte immer gewährleistet sein, leider ist nach meiner Erfahrung die Sachlichkeit bei der Antwort meist nicht gegeben.

    Prof. Dr. W. Schmeller